Skurrile Hochzeitseinladungen, demonstrierende Kinder in Brautkleidern, ein tragischer Film und jede Menge Faxe an Frau Merkel. „Heiraten ist kein Kinderspiel“ war vielleicht die außergewöhnlichste und sicherlich die erfolgreichste Kampagne unserer fast 25-jährigen Geschichte.
Kinder mit Brautkleidern und Schildern
Juni 2016, am Gendarmenmarkt, allgemein als der schönste Platz Berlins bezeichnet. Umringt von monumentalen Bauten, dem Deutschen und Französischen Dom sowie dem Konzerthaus, bildet er eine beeindruckende Kulisse für den heutigen Tag. Denn es war große Finale unserer vierwöchigen Kampagne „Heiraten ist kein Kinderspiel“.
Bei Sonnenschein und 30 Grad betreten wir den Schauplatz. Für unsere Protestaktion stellten sich 18 junge Mädchen, in Hochzeitskleider gekleidet und mit Protestschildern ausgestattet, inmitten vom Gendarmenmarkt auf. Als Kinderbräute verkleidet sollten sie vermitteln, wie aussichtslos ihr Leben nun aussah, und baten die Bundeskanzlerin, endlich etwas gegen Kinderehen zu tun. Eine ihrer Botschaften: „Als Kinderbraut wären Sie nie Kanzlerin geworden, Frau Merkel!“
Tierärztin oder Lehrerin? Pilotin oder Modedesignerin? Während hierzulande Mädchen im Alter von 14 und 15 Jahren noch von ihrem perfekten Leben träumen, hat es sich andernorts für viele andere Mädchen ausgeträumt. Denn aller zwei Sekunden wird auf der Welt ein minderjähriges Mädchen verheiratet. Viele von ihnen werden kurz nach der Heirat schon schwanger, obwohl eine frühe Schwangerschaft für junge Mädchen und ihre Neugeborenen lebensbedrohlich ist.
Vor dem G7-Gipfel appellierten wir daher an die Bundesregierung, sich stärker gegen Kinderehen zu engagieren. Was sie tun kann? Regierungen stärker in die Pflicht nehmen, den gesellschaftlichen Wandel fördern und vor allem Armut bekämpfen – denn Armut ist eine der Hauptursachen für die Frühverheiratung junger Mädchen. Und dazu muss die Bundesregierung endlich klar und deutlich darlegen, wie sie das international vereinbarte Ziel, 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen, erreichen will.
Alles begann mit einer seltsamen Einladung
Michael und Anna heiraten – und sie wollen ihr Glück mit euch teilen: „Ihr seid herzlich eingeladen. Wir freuen uns auf Euer Kommen und bitten um Rückmeldung bis zum 15. Mai“ – steht auf den zart rosafarbenen Hochzeitskarten mit handschriftlicher Einladung. Was die eingeladenen Gäste allerdings nicht wussten, dass es hierbei nicht um eine reale Hochzeitsladung handelte, sondern den Auftakt der Kampagne der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) gegen Kinderehen markierte. Die handgeschriebenen Hochzeitseinladungen wurden per Post an etwa 500 ausgewählte Entscheider und Meinungsmacher unter anderem aus Medien, Bloggerszene und Bundestag verschickt. Zusätzlich wurden weitere 4.000 Empfänger per E-Mail zur Hochzeit eingeladen. Von dort aus wurden die Besucher stets auf die Kampagnenwebseite weitergeleitet, die alle relevanten Infos bereithielt, z. B. Kinderehen, Mitmachaktionen und Kampagnenverlauf. Der beim Besuch der Webseite eintretende Überraschungseffekt trug so zur Handlungsbereitschaft der Empfänger bei.
Die Kampagne bot den Besuchern eine Reihe an Mitmachaktionen, von der Abstimmung auf driektzurkanzlerin.de, bis hin zur Petition per Fax. Um die Kampagne bis zu ihrem Höhepunkt, dem G7-Gipfel, aktuell zu halten, wurden immer wieder neue Kurzfilme produziert, die die Geschichte der fiktiven Kinderbraut erzählen. Ein Kurzfilm mit dem Titel “Anna heiratet” erzählte die Geschichte des fiktionalen Brautpaars emotional weiter und zeigte den möglichen Werdegang der Kinderbraut.
Die Geschichte des fiktiven Brautpaares wurde in verschiedenen Maßnahmen im Kampagnenverlauf immer wieder aufgegriffen und weitererzählt. Sie bildete damit den roten Faden und ermöglichte einen „realen“ und persönlichen Bezugspunkt für die gesamte Kampagne.
Wurden die Kampagnenziele erreicht?
„Heiraten ist kein Kinderspiel“ war die vielleicht außergewöhnlichste Kampagne der fast 25-jährigen Geschichte der DSW. Das Ziel, ein breites Publikum für das Thema Kinderehen zu gewinnen, ist der Stiftung gelungen. Die Kampagnen-Webseite verzeichnete bereits nach der ersten Woche über 20.000 Besucher und über 50.000 Page Views. Der Kurzfilm „Anna heiratet“ wurde bei Facebook innerhalb kurzer Zeit mehr als 320.000 mal angeschaut, über 600 Mal geteilt und zahlreich kommentiert. Die Kampagne stieß auch bei den klassischen Medien auch große Resonanz: Mehr als 65 Medien griffen die Kampagne im Rahmen ihrer Berichterstattung auf, neben TV-Stationen wie RTL auch publikumsstarke Zeitungen (Die Welt, DerWesten) und Magazine (Stern). Die summierte Reichweite in den Printmedien lag bei etwa 3 Millionen, in Onlinemedien bei mehr als 9,3 Millionen Lesern.
Bei dem G7-Gipfel konnte ein politischer Teilerfolg erreicht werden, die beteiligten Staaten sprachen sich dazu aus, sich gegen sexuelle Belästigung und Gewalt gegen Frauen und Mädchen einzusetzen. Inwiefern das auf die Kampagne zurückführen ist, lässt sich natürlich schwer nachverfolgen.
Insgesamt hat die Kampagne im Bereich der Stiftungskommunikation durch die überraschende Herangehensweise neue Akzente gesetzt und dadurch viele Menschen für eine Ungerechtigkeit sensibilisiert, die noch mehr Aufmerksamkeit verdient hat.
Sadiah Meiselbach, Referentin Öffentlichkeitsarbeit
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