Mindestens 200 Millionen Mädchen und Frauen, die aktuell auf der Erde leben, sind Opfer weiblicher Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation FGM) – so die Zahlen des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen UNICEF. Die Mädchen und Frauen leiden nicht nur an den körperlichen Folgen – der Eingriff hat auch massive Auswirkungen auf ihre Psyche. Darüber haben wir mit Dr. Cornelia Strunz, Generalsekretärin der „Desert Flower Foundation“ und Ärztliche Koordinatorin des „Desert Flower Center“ Waldfriede in Berlin gesprochen.

Abseits der körperlichen Folgen, welche Auswirkungen hat die Genitalverstümmelung auf die Psyche der Frauen?

Ganz erhebliche. Obwohl es bei den meisten schon lange zurück liegt, können sie sich sehr gut an die Prozedur erinnern. Beispielsweise an das gewaltsame Festhalten. Die Frauen sind ein Leben lang traumatisiert, egal wie schwer der Grad der Beschneidung ist (mehr Informationen zu den Beschneidungstypen finden Sie in unserem Blog).

Wie äußert sich das?

Die Frauen haben Schwierigkeiten jemanden kennenzulernen. Bei der Kontaktaufnahme mit uns sind sie oft sehr verschüchtert und freuen sich, wenn eine Frau ans Telefon geht. Allerdings ist es sehr schwierig am Telefon zu erfragen, was los ist. Meist berichten die Frauen erst im persönlichen Gespräch über ihre Probleme.

Wer kommt zu Ihnen?

Wir haben hier viele Asylsuchende, weshalb wir auch mit Dolmetscher*innen arbeiten, um eine gute Verständigung sicher zu stellen. Frauen aus 17 verschiedenen afrikanischen Ländern wurden bisher behandelt.

Bei den meisten Frauen liegt die Genitalverstümmelung schon einige Jahre zurück. Sie wird meist zwischen dem vierten und zwölften Lebensjahr durchgeführt. Das Durchschnittsalter unserer Patientinnen liegt bei 31 Jahren. Wir hatten aber auch schon Frauen über 60 und ein achtjähriges Mädchen, dass mit acht Monaten bereits beschnitten worden war.

Was erhoffen sich die Frauen, wenn sie zu Ihnen kommen?

Viele möchten mich erst einmal kennenlernen. Da gilt es ein gutes Vertrauensverhältnis aufzubauen. Die Frauen wollen ihre Weiblichkeit zurück – sie fühlen sich unvollständig. Das kann oftmals durch eine Operation behoben werden und es ist schon erstaunlich, welche Auswirkungen die Operation auch auf die Psyche hat. Einige denken jedoch, dass man alle Folgeprobleme mit einer Operation beheben kann. Dem ist leider nicht so. Zu uns kommen auch Frauen, die nicht operiert werden müssen, sondern andere Formen der Hilfe benötigen.

Welche anderen Behandlungsmöglichkeiten gibt es und ist eine vollständige Heilung überhaupt möglich?

Es ist ein langer Prozess, um die traumatischen Erlebnisse zu bewältigen. Die Frauen haben die Möglichkeit in der Sprechstunde und in unserer Selbsthilfegruppe darüber zu reden. Ganz wichtig sind auch die Bewegungsübungen mit der Physiotherapeutin. Dadurch sollen die Frauen ein anderes Selbstverständnis für den eigenen Körper bekommen, die Angst vor Berührung ablegen und lernen, dass sie auch Gefühle zulassen dürfen.

Mit diesen Maßnahmen und eventuell einer Operation können wir maximal eine Verbesserung herbeiführen, aber keine vollständige Heilung.

Betroffene können sich auf der Website des „Desert Flower Center“ über die Angebote informieren: www.dfc-waldfriede.de 

Eine offene Wunde

 

Drei Mädchen aus einem Jugendklub in Tansania

Mädchen aus einem Jugendklub der DSW in Tansania.

Wenn auch die körperlichen Wunden verheilen und die Beschneidung durch eine Operation teilweise wieder rückgängig gemacht werden kann, so bleibt doch eine offene Wunde in der Psyche der Frauen zurück. Studien haben gezeigt, dass als Langzeitfolge jeder Form weiblicher Genitalverstümmelung die betroffenen Frauen ein höheres Risiko haben an Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen oder Angstzuständen zu erkranken.

Rund 30 Millionen Mädchen sind weiterhin davon bedroht, vor ihrem 15. Lebensjahr beschnitten zu werden. Um ihnen dieses Schicksal zu ersparen, setzt sich die Stiftung Weltbevölkerung mit einem Aufklärungsprojekt zu FGM in Tansania ein.

Quellen: