Die Macht der Global Gag Rule
Das Recht auf sichere Schwangerschaftsabbrüche gehört zu einem der kontroversesten Themen unserer Zeit und steht auch im Zentrum des US-Wahlkampf 2024. Nicht erst seit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, der das nationale Recht auf einen sicheren Schwangerschaftsabbruch aufhob, wird die Debatte dort mit besonderer Vehemenz geführt und ist aktuell eines der markantesten Unterscheidungsmerkmale zwischen Republikanern und Demokraten. Der Ausgang dieser Wahl wird aber nicht nur die politische Zukunft der USA prägen, sondern Auswirkungen auf die globale Gesundheit, nationale Gesetzgebungen und Menschenrechte weltweit haben. Besonders im Fokus steht dabei die sogenannte Global Gag Rule (GGR), eine US-Politik, die weitreichende Konsequenzen für Millionen von Menschen insbesondere in Ländern des globalen Südens hat.
Denn der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen ist immer noch in vielen Ländern eingeschränkt oder ganz verboten – Komplikationen während der Schwangerschaft und der Geburt, gehören weltweit zu den häufigsten Todesursachen bei 15- bis 19-jährigen Mädchen, oft in Folge eines medizinisch unsicheren Schwangerschaftsabbruchs. (WHO 2024)
Die Global Gag Rule (GGR), auch bekannt als Mexico-City Policy, hat seit ihrer Einführung durch Präsident Ronald Reagan 1984 den Einsatz für sichere Schwangerschaftsabbrüche immer wieder erschwert. Im Kern besagt die Regel: Wer finanzielle Mittel über USAID erhalten möchte, darf keine Beratungen oder Informationen über Schwangerschaftsabbrüche anbieten und sich nicht für eine Liberalisierung von Abtreibungsgesetzen einsetzen – auch nicht mit eigenen Mitteln. Die GGR wurde unter den demokratisch geführten US-Regierungen, von Bill Clinton, Barack Obama und Joe Biden konsequent aufgehoben, unter dem republikanischen Präsidenten wie George W. Bush wieder eingeführt und unter Donald Trump darüber hinaus auch noch verschärft.
Die globale Macht der Global Gag Rule
Die negativen Auswirkungen dieser amerikanischen Schaukel-Politik gehen weit über das Thema Schwangerschaftsabbruch hinaus. In Bezug auf öffentliche Entwicklungsgelder (ODA) sind die USA das wichtigste und mächtigste Geberland. Wenn zahlreiche Organisationen auf diese Gelder verzichten müssen, kann dies in vielen Ländern die gesamte Infrastruktur der Gesundheitsversorgung erheblich schwächen. Es liegt in der Natur der GGR, dass Organisationen im globalen Süden, die sich um Gesundheitsdienste für Frauen, Kinder und besonders marginalisierte Gruppen kümmern, von diesen Einbußen besonders betroffen sind.
Die Regel blockiert den Zugang zu wichtigen Gesundheitsdiensten und hindert NGOs daran, umfassende Aufklärungsarbeit zu leisten. Der sogenannte „Chilling Effect“ führt darüber hinaus auch dazu, dass Organisationen, die keine US-Gelder erhalten, vorsichtiger agieren, aus Angst, zukünftige Finanzierungen zu verlieren.
Die Folgen sind weitreichend:
- Auf Mikroebene können Gesundheitsdienstleister keine umfassenden Informationen zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit anbieten.
- Auf Makroebene verlieren viele Organisationen ihre Finanzierung, was dazu führt, dass ganze Gesundheitsprogramme in Gefahr geraten oder eingestellt werden.
Ein besonders schwerwiegender Effekt der Global Gag Rule ist, dass sie den Zugang zu Gesundheitsdiensten wie Verhütung, HIV-Prävention und Schwangerschaftsbetreuung beeinträchtigt.
Die Rückkehr der GAG-Rule unter Trump
Mit seiner Amtsübernahme 2017 erweiterte Trump die Global Gag Rule drastisch, indem er sie auf alle Formen der US-Gesundheitsfinanzierung anwendete. Dies bedeutete, dass Organisationen, die HIV- und AIDS-Programme oder Müttergesundheit unterstützen, ebenfalls keine Mittel erhalten konnten, wenn sie Abtreibungsberatung oder -aufklärung anboten.
Davon war auch die Arbeit der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) betroffen. „Wir waren auf einem anderen Weg“, erinnert sich Evelyn Samba, Leiterin der DSW in Kenia. Vor allem in Ländern des globalen Südens sei die Infrastruktur für reproduktive Gesundheit auf dem Weg der Verbesserung gewesen. Doch die Einführung der GGR unter Trump hätte diese Fortschritte zerstört und verschärfte die Situation, weil lokale zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Arbeit nicht mehr wie gewohnt durchführen konnten. Samba warnt eindringlich vor den Konsequenzen einer Wiederwahl Donald Trumps: „Ausgehend von seiner Politik, während seiner ersten Amtszeit würde eine erneute Präsidentschaft von Donald Trump dazu führen, dass die Errungenschaften im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte erneut stark zurückgedrängt würden.“
Project 2025: Eine düstere Aussicht für globale Gesundheit und Menschenrechte
Eine erneute Trump-Regierung birgt obendrein die Gefahr, dass die GGR noch erheblich verschärft wird. Unter dem Titel „Project 2025“ plant die Heritage Foundation – eine Stiftung mit engen Verbindungen zum Umfeld Trumps und der republikanischen Partei –, die GGR auf alle Bereiche der US-Außenpolitik auszudehnen. Statt wie bisher nur für Gesundheitsprogramme soll sie auf alle Bereiche der US-Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe angewendet werden. Diese Ausweitung, die als „Protecting Life in Foreign Assistance“ (PLFA) bekannt ist, würde etwa 66 Milliarden US-Dollar an Hilfsgeldern betreffen (RFSU 2024), von denen viele bisher nicht den Bedingungen der GGR unterlagen, so die humanitäre Hilfe oder multilaterale Programme wie der Bevölkerungsfond der Vereinten Nationen (UNFPA) und der Globale Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria. Dies könnte verheerende Auswirkungen auf die globale Gesundheitsversorgung und die Bekämpfung von Pandemien haben.
Kamala Harris und die Zukunft der reproduktiven Rechte
Kamala Harris hat das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und die körperliche Selbstbestimmung der Frauen zu einem ihrer zentralen Wahlkampfthemen gemacht. Im Falle ihres Wahlsieges wären also nicht nur keine erneuten Einschränkungen und finanzielle Einbrüche zu erwarten, sondern es bestünde im Gegenteil auch Hoffnung auf eine fortschrittliche Politik im Bereich der globalen Gesundheit.
Europa und die globale Verantwortung
Das Beispiel der GGR offenbart, wie stark US-Politik globale Gesundheitsstandards und Menschenrechte beeinflussen kann. Sie greift tief in die Arbeit von NGOs ein, die sich für das Recht auf reproduktive Gesundheit einsetzen, und sie gefährdet die Gesundheit und das Leben von Frauen und Familien weltweit.
Für Europa ist es daher wichtiger denn je, sich auf die möglichen Auswirkungen von „Project 2025“ vorzubereiten. Eine erneute Trump-Präsidentschaft könnte autoritäre Regime weltweit ermutigen, ihre eigenen konservativen Agenden zu verfolgen und dabei die globalen Menschenrechte, insbesondere die sexuellen und reproduktiven Rechte, zu untergraben. Aber auch im Falle eines Siegs von Kamala Harris wird das frauenfeindliche Gedankengut in den USA nicht einfach verschwinden; der Kampf gegen diese Ideologien bleibt notwendig und erfordert kontinuierliche Aufmerksamkeit und Mobilisierung. Die europäische Gemeinschaft muss dringend Maßnahmen ergreifen, um den drohenden Verlust an US-Finanzierung für wichtige Gesundheitsprogramme auszugleichen und alternative Finanzierungsquellen zu erschließen.
Die Entscheidungen, die in Washington getroffen werden, haben tiefgreifende Auswirkungen auf Menschen in aller Welt. Evelyn Samba bringt es auf den Punkt: „Die Errungenschaften im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit müssen verteidigt werden, bevor sie unumkehrbar verloren gehen.“
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