Prof. Norbert Brockmeyer ist Aids-Experte und Leiter des Zentrums für Sexuelle Gesundheit und Medizin an der Universitätshautklinik Bochum. Er berät die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Experte bei Fragen zu HIV und Aids, ist Sprecher des Kompetenznetzes HIV/AIDS und Vorsitzender der Deutschen STI-Gesellschaft – Gesellschaft zur Förderung der Sexuellen Gesundheit (DSTIG e.V.). Wir sprechen mit ihm über die Fortschritte im Kampf gegen HIV und Aids.
Herr Prof. Brockmeyer, warum haben wir den Kampf gegen HIV und Aids noch nicht gewonnen?
Eine der größten Herausforderung ist nach wie vor das Stigma um HIV und Aids. Weltweit werden Menschen, die mit HIV leben, Opfer dieser Stigmatisierung. Sie werden diskriminiert oder gar kriminalisiert.
Was hat das für Folgen?
Betroffene wagen es nicht, ihren Status offen zu legen oder sich überhaupt testen zu lassen. Wenn die Infektion aus Schamgefühl oder Angst ignoriert wird, kann sie auch nicht behandelt werden. In Osteuropa sehen wir beispielsweise einen direkten Zusammenhang zwischen einer starken Diskriminierung gegen Menschen, die mit HIV leben, und einer hohen Rate von Neuinfektionen.
Gibt es auch positive Beispiele im Umgang mit HIV und Aids?
China ist ein gutes Beispiel. Bis zum Jahr 2000 herrschte dort eine rigide Politik in Bezug auf HIV. Diese hat zu einer folgenreichen Stigmatisierung beigetragen. Danach wurde der Umgang seitens der Regierung wesentlich offener. Das zeigte Wirkung: Die Prävention ist heute besser und die Zahl der Neuinfektionen geht zurück.
Welche Verantwortung hat die Weltgemeinschaft bei der Eindämmung der Krankheit?
Wir müssen sicherstellen, dass Menschen sich testen lassen können. Den eigenen Status zu kennen, würde enorm weiterhelfen, weil wir erst dann Therapien zur Verfügung stellen können. Das hat mit meinem ersten Punkt – der Stigmatisierung – zu tun, aber auch mit einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung, die insbesondere in Entwicklungsländern nicht gegeben ist.
Inwiefern spielen andere Krankheiten dabei eine Rolle?
Es ist ja so: Infektionskrankheiten sind nicht voneinander isoliert. Menschen, die sich mit HIV infiziert haben, erkranken aufgrund des geschwächten Immunsystems beispielsweise besonders leicht an Tuberkulose. Neben HIV und Aids müssen also dringend auch andere Infektionskrankheiten wie Tuberkulose oder Malaria adressiert werden. Den ganzheitlichen Ansatz gegen diese drei großen Armutskrankheiten hat der „Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria“ erkannt.
Welche Rolle spielt der Globale Fonds bei der Eindämmung von HIV und Aids?
Der Globale Fonds spielt eine ganz wichtige Rolle! Er ist die weltweit größte Organisation für die Bekämpfung von Tuberkulose und Malaria und die zweitgrößte für HIV und Aids. Der Globale Fonds ist hoch innovativ und hat eine immense Bedeutung für die globale Gesundheit. Das Bündnis seit seiner Gründung im Jahr 2002 schätzungsweise 27 Millionen Menschenleben gerettet. Aber der Globale Fonds braucht vor allem eine nachhaltige Finanzierung.
Wie bewerten Sie das Engagement Deutschlands in diesem Zusammenhang?
Deutschland leistet durchaus einen großen Beitrag zum Globalen Fonds sowie auch zu Maßnahmen der Vereinten Nationen. Dieses Jahr organisiert der Globale Fonds seine sechste Wiederauffüllungskonferenz. Deutschland muss einen fairen Beitrag leisten, damit die Krankheit uns nicht einen Schritt voraus ist. Wichtig ist auch die Grundlagenforschung zu HIV und Aids. Hier haben wir einige hervorragende Ansätze und viele Kooperationen mit anderen Ländern.
Aber?
Man könnte das Engagement Deutschlands noch deutlich verstärken. Es wird auch schon länger versucht, durch europäische Förderprogramme mehr zu tun. Dabei kooperieren wirtschaftlich und wissenschaftlich starke europäische Länder mit Entwicklungsländern und es kommt im Idealfall für alle etwas Positives raus.
Wie meinen Sie das?
Das Engagement kann sich auch für Geberländer finanziell lohnen. Die USA sind in diesem Sektor zum Beispiel sehr stark. Wenn man sich die vielen Patententwicklungen im Pharmabereich und anderen Technologien ansieht, haben sie sehr viel mehr Geld wieder erwirtschaftet, als sie investiert haben. Politik ist ja oft so angelegt, dass man Gutes tun soll und gleichzeitig zeigen muss, dass für einen selbst etwas dabei herauskommt. Bei HIV und Aids ist dies möglich, aber diese Chance haben wir hier bislang zu wenig wahrgenommen. Ich denke, die HIV-Wissenschaft wurde von der deutschen Politik in diesem Sinne bislang nicht richtig eingeschätzt.
Laut der nachhaltigen Entwicklungsziele, die sich die UN gesetzt hat, soll Aids bis zum Jahr 2030 beendet sein. Ist das realistisch?
Wenn wir über die nachhaltigen Entwicklungsziele sprechen, müssen wir uns klarmachen, was alles dazugehört. Wenn zum Beispiel Prävention und Therapien in Afrika nicht genug Wirkung zeigen, müssen wir uns fragen: Was sind hier eigentlich die Grundbedingungen? Haben die Menschen Zugang zu sauberem Wasser? Haben die Menschen Zugang zu genügend Nahrung? Gibt es Zugang zu den notwendigen Informationen? Es gehört also noch viel mehr dazu, als den Menschen eine antiretrovirale Therapie zur Verfügung zu stellen. Es geht auch um die Grundversorgung der Bevölkerung.
Wenn man sich ansieht, was wir für Möglichkeiten haben, sind die nachhaltigen Entwicklungsziele gar nicht so ehrgeizig, wie viele sagen, sondern eher selbstverständlich. Ich glaube, es ist machbar, aber es gehört eine Menge dazu.
Ein wesentlicher Aspekt sind auch Unruhen und Kriege. In Krisengebieten – wie dem Sudan, Jemen, Syrien oder dem Kongo – lassen sich medizinische Maßnahmen nicht im erforderlichen Umfang durchführen. Auch hier sehen wir als Resultat eine erhöhte Zahl von Neuinfektionen. Diese Faktoren dürfen wir nicht vernachlässigen.
Was sind aus Ihrer Sicht vielversprechende Forschungsansätze im Kampf gegen HIV und Aids?
Da müssen wir unterscheiden: Wo sind wir nah dran und wo sind wir weiter entfernt? Nah dran sind wir zum Beispiel bei langwirksamen Medikamenten, die bald auf den Markt kommen. Für Länder mit mangelnder medizinischer Versorgung sind sie eine große Chance. Ich kenne es aus Kenia und anderen afrikanischen Ländern, dass die Leute teilweise einen halben Tag zu Fuß gehen, um an ihre Medikamente zu kommen. Medikamentöse Therapien, bei denen die Menschen nicht mehr täglich Tabletten nehmen müssen, sondern beispielsweise nur alle drei Monate, wären dort ein großer Schritt.
Und welche sind die, von denen wir noch weiter entfernt sind?
Woran schon länger geforscht wird, ist die Kombinationsbehandlung mit „normalen“ antiretroviralen Medikamenten und breitneutralisierenden Antikörpern. Diese Antikörper greifen spezifische Strukturen des HI-Virus an, die für die Infektion von CD4-Zellen durch den HI-Virus benötigt werden. Ich glaube, dass sich die Antikörperentwicklung sehr positiv weiterentwickeln wird und eine ganz neue Klasse an Medikamenten entsteht. Insgesamt wird die medikamentöse Behandlung in der Zukunft breiter und auch günstiger werden.
Vielversprechend ist auch HIV-Prävention durch eine Impfung. Ich bin davon überzeugt, dass wir in den nächsten Jahren einen Impfschutz von 60 bis 70 Prozent erreichen werden. Aussichtsreich ist hier ein sogenannter Mosaik-Impfstoff, der Bestandteile verschiedener Varianten des HI-Virus enthält und somit gegen verschiedene HIV-Stämme wirksam ist. Dieser Impfstoff befindet sich allerdings erst in der experimentellen Phase.
Sg. Herr Prof. Brockmeyer ..ich beziehe mich auf die Massnahmen zur Hiv Prävention in Afrika so wie ich es seit Jahren bei meiner Aufklärungsarbeit zur Reproduktiven Gesundheit in Kenya , Uganda ,Rwanda beobachte.Es werden Millionen Menschen männlichen Geschlechts hauptsächlich Kinder zur sog. V M M C volontary medical male circucision gezwungen .Dabei könnte man angeblich die Infektionsrate um 60 % senken .Die Studien die das behaupten sind wissenschaftlich höchst umstritten ,vor allem finden sich keine Zahlen zur Evaluierung und Qualitätsüberprüfung .Praktisch sieht es so aus ,dass die Infektionsrate unter beschnittenen Männern steigt anstatt abzunehmen . Sie glauben daran durch die Beschneidung geschützt zu sein und lehnen den Gebrauch von Condom ab. Es findet sich seit Jahren im öffentlichen Raum in Kenya Uganda keine Werbung für Kondome mehr ,jedoch Plakate die erwachsene Männer mit ihrer Partnerin zeigen ,die Zircumzision als Schutz vor Krankheit preisen!
Die unfreiwillig Beschnittenen sind jedoch Kinder unter 7 Jahren ,vorzugsweise im Babyalter ,da gibt es weniger Komplikationen und wenig Widerstand.Ein Baby kann sich nicht erinnern! Stellungnahme von europäischen Fachleuten wäre wünschenswert.