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Kippt Gambia das Verbot von weiblicher Genitalverstümmelung?

Blog | 19. März 2024 | #AntiFGM #Empowerment #FGM #Genitalverstümmelung

Hunderttausende Frauen weltweit leiden unter den Folgen einer Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation – FGM) und Hunderttausende junge Mädchen sind davon bedroht, Opfer dieser menschenverachtenden Praxis zu werden. Umso schlimmer die Nachrichten, die uns derzeit aus Gambia erreichen: Dort haben Mitglieder der Nationalversammlung einen Gesetzesvorschlag zur Aufhebung des Verbots der Genitalverstümmelung vorgelegt. 

Auch in Gambia ist, wie in vielen Staaten, FGM derzeit verboten (seit 2015). Es wäre damit das erste Land weltweit, das ein Verbot rückgängig macht – eine traurige Berühmtheit. Aus diesem Anlass verweisen wir noch einmal nachdrücklich auf unser Interview zum Internationalen Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung mit Miriam Chebet: Sie kämpft in Kenia gegen FGM und erzählt von den Folgen der Opfer und den Chancen, diese sogar todbringende Tradition endgültig zu verbannen.

Nach Informationen der „Deutschen Welle“ ist FGM in Gambia nach wie vor weit verbreitet: Etwa 73 Prozent der Mädchen und Frauen zwischen 15 und 49 Jahren sind laut „DW“ beschnitten. „Fast ein Drittel dieser Frauen waren jünger als fünf Jahre, als ihre Genitalien verstümmelt worden sind. Das geht aus dem Bericht zur Demografie und Gesundheit 2019/20 der gambischen Statistikbehörde hervor“, heißt es weiter.
Mehr Informationen zu FGM, den Folgen für die Überlebenden und den Kampf gegen Genitalverstümmelung gibt es auf unserer Seite.


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Mehr Informationen

Female genital mutilation – the origin of the practice and the most important facts

Female genital mutilation is one of the cruelest traditional practices in human history. It is a manifestation of deeply rooted power relations. But where did the practice originate? And what needs to happen so that female genital mutilation only appears in the history books in future?

Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW)

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Kampf gegen Genitalverstümmelung: „Jeder sollte wissen, wie wir ohne FGM leben können“

Blog | 05. Februar 2024 | #AntiFGM #FGM #Genitalverstümmelung #Geschlechtergerechtigkeit

Miriam Chebet lebt im West Pokot County in Kenia. Sie ist von der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) ausgebildet worden und arbeitet nun in ihrer Gemeinde mit jungen Menschen, um sie für Aufklärung und Gesundheit zu sensibilisieren. Eines ihrer Hauptthemen ist dabei die weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM). Im Interview erzählt sie von ihren persönlichen Erfahrungen und über Lösungen im Kampf gegen diese menschenverachtende Praxis, unter der weltweit immer noch Millionen von Frauen und Mädchen leiden müssen.

Wie verbreitet ist weibliche Genitalverstümmelung in Deiner Heimat?
Miriam Chebet: Die Praxis ist in den vergangenen Jahren erheblich zurückgegangen. Grund dafür sind vor allem Kampagnen der Regierung, aber auch von NGOs wie etwa der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung.

Welche Folgen hat eine Genitalverstümmelung für Frauen und Mädchen?
Miriam Chebet:
Es kommt natürlich zu heftigen Schmerzen, da der Eingriff oft ohne Betäubung durchgeführt wird. Starke Blutungen sind eine häufige Folge  Einige Mädchen sterben sogar nach FGM-Eingriffen. Die Überlebenden leiden an gesundheitlichen Folgen wie Geburtsfisteln und Schmerzen beim Sex.

Gibt es keine Gesetze, die diese Praxis verbieten oder halten sich die Menschen einfach nicht daran? Wie kann für mehr Sicherheit für Frauen und Mädchen gesorgt werden?
Miriam Chebet: Kenia hat im Jahr 2011 das Gesetz zum Verbot von FGM erlassen. Bei uns hat die Politik das Ziel der Weltgesundheitsorganisation zur Beendigung von FGM übernommen, das auch unter Punkt 5 „Geschlechtergleichheit“ bei den Nachhaltigen Entwicklungszielen aufgeführt wird. Doch trotz dieses Gesetzes ist FGM immer noch verbreitet, und viele Frauen und Mädchen werden zu Hause von traditionellen Beschneiderinnen operiert.

In einem früheren Interview aus dem Jahr 2021 hast Du erzählt, dass die Beschneidungen bei Euch teilweise am helllichten Tage durchgeführt werden. Ist das das immer noch der Fall?
Miriam Chebet: Das Verbot durch das kenianische Gesetz hat es für die Täter schwerer gemacht. Allerdings führt dies nun teilweise dazu, dass Mädchen einfach sehr früh verheiratet werden und die Beschneidung schließlich in den Häusern ihrer Ehemänner erfolgt.

Wie kann es gelingen, FGM vollständig zu eliminieren?
Miriam Chebet: Wir müssen weiter daran arbeiten, Mädchen und Frauen über ihr Recht aufzuklären, dass sie – und nur sie – über ihren Körper entscheiden. Darüber hinaus müssen wir versuchen, die Traditionen aufzubrechen und dabei auf die Unterstützung der älteren Generation bauen. Bildung ist natürlich extrem wichtig, die Kinder müssen zur Schule gehen. Dort können auch Projekte helfen, um über FGM aufzuklären.

Was tut Ihr vor Ort, um die Menschen über FGM aufzuklären? An wen genau richtet Ihr Euch und gibt es auch neue Ideen und Ansätze?
Miriam Chebet:
Ich bin Mitglied des sogenannten Community Action Committee. Als Frau, die die Beschneidung selbst durchmachen musste, sorge ich nun dafür, dass Informationen über die Auswirkungen von FGM meine Leute in ihren Dörfern und Kirchen erreichen. Wir versuchen, mit jeder Person ins Gespräch zu kommen. Wir machen keine Unterschiede, denn wirklich jeder sollte wissen, wie wir künftig ohne FGM normal leben können. Es ist eine Sache der Gemeinschaft und wir sollten es auch als Gemeinschaft angehen.

Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW)

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Waris Dirie im Interview zu Genitalverstümmelung: „Die Folter beenden“

Blog | 05. Februar 2016 | #AntiFGM #Genitalverstümmelung #Geschlechtergerechtigkeit #Globale Gesundheit #Waris Dirie

Waris Dirie, Autorin des Buches „Wüstenblume“, kämpft seit Jahrzehnten und mit vereinten Kräften gegen weibliche Genitalverstümmelung. 1997, auf dem Höhepunkt ihrer Model-Karriere, hat Dirie, die als junges Mädchen aus Somalia floh, erstmals öffentlich über das Trauma ihrer Kindheit gesprochen. Im selben Jahr wurde sie zur UN-Sonderbotschafterin gegen weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM) ernannt. Im Interview berichtet sie über bisherige Fortschritte gegen FGM und was alles noch getan werden muss, um Mädchen und Frauen weltweit vor dieser grausamen Praktik zu schützen.

Frau Dirie, Sie kämpfen seit über zwanzig Jahren gegen weibliche Genitalverstümmelung. Worin sehen Sie die größten Fortschritte, die bis heute erzielt wurden?

Waris Dirie: Vor 20 Jahren wollte niemand über dieses Thema sprechen. Die Medien haben sich dafür nicht interessiert. Es gab weltweit kaum Gesetze gegen dieses abscheuliche Verbrechen an unschuldigen kleinen Mädchen und es wurde von den großen NGOs nicht einmal thematisiert. Heute gibt es zahlreiche Kampagnen gegen FGM. Die Medien, selbst in der muslimischen Welt, berichten darüber, fast alle Länder haben mittlerweile Gesetze gegen FGM, viele NGOs engagieren sich gegen FGM und afrikanische Politikerinnen haben den Kampf gegen FGM für sich entdeckt. Ich denke, dass ich mit meiner Desert Flower Foundation einen wichtigen Beitrag geleistet habe, dass diese brutale Folter langsam verschwindet.

Sie prangern an, dass westliche Politiker in Sachen Genitalverstümmelung zu viel reden und planen, aber zu wenige Taten folgen lassen. Woran liegt das?

Waris Dirie: Es geht nicht nur um westliche Politiker. Politiker auf der ganzen Welt haben das Thema FGM ausgeklammert und wichtige Schritte, wie die UN-Resolution, die FGM zum Verbrechen erklärt und Gesetze weltweit fordert, blockiert. 1997 wurde ich zur UN-Sonderbotschafterin ernannt, aber erst 2012 hat die UN-Generalversammlung die Resolution gegen FGM verabschiedet. Die Europäische Union hat FGM erst 2006 nach dem Erscheinen meines Buches „Schmerzenskinder“, das die weite Verbreitung von FGM in afrikanischen Communities in Europa thematisiert, auf ihre Agenda gesetzt. Nach unserer Präsentation vor dem EU-Ministerrat haben sich europäische Regierungen endlich gegen FGM engagiert.

Was müssen seitens der Politik die weiteren zentralen Schritte sein, um Frauen und Mädchen, vor allem in afrikanischen Ländern, vor dieser Menschenrechtsverletzung zu schützen?

Waris Dirie: Bildung, Aufklärung, medizinische Hilfe für die Opfer und strenge Strafen für die, die FGM trotzdem weiter praktizieren, sind die wichtigsten Maßnahmen, um die Welt von diesem Irrsinn zu befreien.

Welche Erfahrungen haben Sie über Dialoge und Projekte mit Familien und lokalen Meinungsführern vor Ort gemacht, können solche Gespräche zum Umdenken führen?

Waris Dirie: Ich setze auf die jungen Menschen! Viele junge Menschen in Afrika, auch in ländlichen Gebieten, haben Zugang zum Internet und damit zu Informationen, die ihnen neue Perspektiven eröffnen. 700 Millionen Afrikanerinnen besitzen Handys. Die lokalen Meinungsführer verlieren an Glaubwürdigkeit und Bedeutung, da sie den Jungen weder eine berufliche, noch sonst irgendeine Perspektive geben können. Afrika ist der mit Abstand „jüngste“ Kontinent und nur wer den Jungen eine Perspektive, eine Chance auf eine menschenwürdige Zukunft geben kann, verändert Afrika.

Das Internet hat auch in der afrikanischen Gesellschaft eine Revolution und einen Wertewandel ausgelöst, der im Westen nicht erkannt wird. Die jungen Afrikanerinnen, vor allem Teenager, haben ganz andere Vorstellungen, Träume, Wünsche und Ziele im Leben, als ihre Eltern oder Großeltern. Sie wollen selbst etwas im Leben erreichen. Gesellschaftlich verkrustete Strukturen brechen überall auf. Junge Afrikanerinnen sind heute viel selbstbewusster. Die Stellung der Frau ändert sich rasant und FGM wird bald Geschichte sein.

Waris Dirie, Autorin des Buches „Wüstenblume“, kämpft seit Jahrzehnten gegen weibliche Genitalverstümmelung. (Archiv)

Welche Rolle spielen religiöse, traditionelle und patriarchalische Überzeugungen beim Festhalten an diese Praktik?

Waris Dirie: Es sind die Alten und die heute noch Mächtigen mit ihrer Ignoranz und Verbohrtheit, die an FGM und einer Gesellschaftsform, dem Patriachat, das keine Zukunft hat, festhalten wollen. Aber ihre Zeit ist abgelaufen. All das dumme Gequatsche, dass FGM mit Religion, Tradition, Kultur zu tun hätte, nervt mich fürchterlich. FGM ist ein Verbrechen an unschuldigen kleinen Mädchen, eine unglaublich perfide und schwere Menschenrechtsverletzung, die bestraft werden muss.

Sie sagen: „Africa needs a new spirit“. Was genau verstehen Sie darunter? Und wie können wir von hier aus diesen Prozess unterstützen?

Waris Dirie: Afrika besitzt zwei Drittel der landwirtschaftlich noch nicht genutzten Flächen und ein Drittel aller Bodenschätze unseres Planeten. Es gibt aber kaum Wertschöpfung in Afrika und damit fehlen viele Millionen Arbeitsplätze. Landwirtschaft wird von afrikanischen Regierungen kaum unterstützt oder subventioniert. Stattdessen gibt es ein horrendes Budget für Waffen. Das ist nicht nur dumm, sondern kriminell.

Die Hälfte der afrikanischen Bevölkerung ist unter 20 Jahre alt und möchte raus aus Armut, Korruption, Ignoranz und desaströsen Regierungen, die nur in die eigene Tasche wirtschaften. Es gibt junge, gut ausgebildete und talentierte Politikerinnen in Afrika, die den Kontinent weiterbringen werden. Die „Politzombies“ gehören, zur Abschreckung, ins Wachsfigurenkabinett.

Die Jugendlichen und die Frauen Afrikas müssen gefördert und unterstützt werden. Sie und ihre Kinder können den Kontinent zum Blühen bringen. Unterstützt erfolgreiche Unternehmen aus dem Westen, die in Afrika investieren und produzieren wollen, damit viele Arbeitsplätze geschaffen werden. Investiert in junge afrikanische Unternehmen, die keine Chance auf Finanzierung in Afrika haben, damit diese wachsen können. Am wichtigsten ist es, in die Bildung von Mädchen und Frauen zu investieren, denn sie sind das Rückgrat und die Zukunft der afrikanischen Gesellschaft.

Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW)