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DSW: „In Krisen werden noch mehr Frauen und Mädchen Opfer von Zwangsverheiratung und Genitalverstümmelung!“

Blog | 14. April 2021 | #Natalia Kanem #UNFPA #Vereinte Nationen #Weltbevökerungsbericht

Hannover, 14. April 2021. Der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) veröffentlicht am 14. April den diesjährigen Weltbevölkerungsbericht mit dem Titel Mein Körper gehört mir: Das Recht auf Autonomie und Selbstbestimmung einfordern. Herausgeberin der deutschen Kurzfassung ist die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW). Im Zentrum des UNFPA-Weltbevölkerungsberichts 2021 steht das Recht auf körperliche Selbstbestimmung und Unversehrtheit von Mädchen und Frauen. Nur 55 Prozent der Frauen in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen können selbst entscheiden, ob sie Sex haben, verhüten oder Gesundheitsversorgung in Anspruch nehmen möchten.

Dr. Natalia Kanem bei der Vorstellung des UNFPA-Weltbevölkerungsberichts 2021 in New York. © UNFPA

Dr. Natalia Kanem, Exekutivdirektorin von UNFPA, erklärte: „Die Tatsache, dass fast die Hälfte der Frauen immer noch nicht selbst entscheiden kann, ob sie Sex haben, verhüten oder medizinische Versorgung in Anspruch nehmen wollen oder nicht, muss uns alle empören. Hunderte Millionen Frauen und Mädchen besitzen ihre eigenen Körper nicht. Ihr Leben wird von anderen bestimmt.“

Sexualisierte und geschlechtsbasierte Gewalt nimmt durch Coronakrise zu

Der Weltbevölkerungsbericht 2021 wertet aus, inwieweit Frauen und Mädchen die Macht haben, Entscheidungen über ihren Körper zu treffen. Er untersucht auch, inwieweit Regierungen die körperliche Selbstbestimmung und Unversehrtheit fördern oder behindern. Die Daten zeigen einen starken Zusammenhang zwischen der Entscheidungsmacht und dem Bildungsniveau einer Frau. Die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) macht darauf aufmerksam, dass mit geschlossenen Schulen zur Eindämmung der Corona-Pandemie das Risiko für Mädchen steigt, sexualisierter und geschlechtsbasierter Gewalt ausgesetzt zu sein. Auch fallen aufgrund von Lockdown-Bestimmungen viele Dienste der sexuellen und reproduktiven Gesundheit weg, die sonst dafür Sorge tragen, dass junge Menschen und vor allem Mädchen und Frauen über ihr körperliches Selbstbestimmungsrecht aufgeklärt werden. Nur 56 Prozent der Länder weltweit haben überdies eine umfassende Sexualaufklärung gesetzlich verankert.

Jan Kreutzberg, Geschäftsführer der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW), sagte: „In Krisen werden noch mehr Frauen und Mädchen Opfer von Zwangsverheiratung und Genitalverstümmelung! Sexualisierte und geschlechtsbasierte Gewalt sind an der Tagesordnung. Regierungen dürfen davor nicht die Augen verschließen. Es muss mehr getan werden, um sexuelle und reproduktive Gesundheitsdienste in Krisen aufrecht zu erhalten und junge Menschen über ihre sexuellen und reproduktiven Rechte aufzuklären.“

DSW

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Weltbevölkerungskonferenz: Die freie Entscheidung im Zentrum

Blog | 07. November 2019 | #Entwicklungspolitik #UNFPA #Weltbevökerungsbericht

Man schreibt das Jahr 1994. Die Vereinten Nationen (UN) einigen sich bei einer internationalen UN-Konferenz in Kairo, der Weltbevölkerungskonferenz, auf einen neuen Fokus in der Bevölkerungspolitik: Die freie Entscheidung über den eigenen Körper und die gewünschte Kinderzahl. Eigentlich seltsam, dass man sich darauf erst einigen muss, oder? 

Vor der Weltbevölkerungskonferenz von Kairo sprach man vielerorts noch ganz anders über Bevölkerungsfragen. Die Möglichkeit, eine Schwangerschaft zu verhüten, war weniger im Rahmen der Emanzipation oder des Rechts auf körperliche Selbstbestimmung relevant. Stattdessen standen demografische Zielvorgaben im Vordergrund. Diese wurde unter anderem durch die Angst westlicher Industrienationen vor einem „ungebremsten Bevölkerungswachstum“ in den sogenannten Entwicklungsländern angetrieben: 1969 bekamen Frauen in den „am wenigsten entwickelten“ Regionen der Welt durchschnittlich 6,8 Kinder – dies waren zwei Kinder mehr als der damalige weltweite Durchschnitt und vier Kinder mehr als in stärker entwickelten Regionen.

Die Kinderzahl war und ist der offensichtlichste Faktor für das Wachstum der Bevölkerung. Die Fertilität galt es zu senken, um die „Überbevölkerung“ in den Griff zu bekommen – auch Zwang und Gewalt wurden hierfür in Kauf genommen. Der Zweck heiligte die Mittel. Ein extremes Beispiel hierfür ist die Ein-Kind-Politik in China, wo heftige Strafen verhängt wurden, wenn Paare ein zweites Kind bekamen. Dabei kam es nicht nur in China zu Menschenrechtsverletzungen wie erzwungenen Schwangerschaftsabbrüchen oder Zwangssterilisationen, wie etwa in Indien.

Das Menschenrecht an erster Stelle

Auch deswegen war die Weltbevölkerungskonferenz in Kairo so revolutionär: Die Vereinten Nationen sprachen sich nämlich in ihrem „Programme of Action“ gegen diese Maßnahmen aus. Und siehe da: Man muss Frauen gar nicht dazu zwingen, weniger als sechs Kinder zu bekommen. Vielmehr wollen viele Frauen verhüten, können es jedoch nicht.

Dieser sogenannte „ungedeckte Bedarf an Familienplanung“ bedeutet, dass es an den Mitteln zur Verhütung (Kondome, Spirale, Pille etc.) mangelt oder an dem Zugang zu ihnen. Vielleicht verbietet der Ehemann, der Vater oder die Schwiegermutter die Nutzung von Kontrazeptiva. Vielleicht mangelt es aber auch an dem Wissen über die Anwendung oder am notwendigen Geld, Verhütungsmittel zu erwerben. Über 200 Millionen Frauen weltweit sind noch heute von diesem ungedeckten Bedarf betroffen. Ihnen wird damit verwehrt, über ihren Körper und die Anzahl ihrer Kinder zu entscheiden.

Widerstände halten an … und halten Fortschritt auf

Die Frage, ob wirklich allen Menschen, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Familienstand das Recht zugestanden werden sollte, uneingeschränkt über die eigene Sexualität und Kinderzahl zu entscheiden, war auch bei der Weltbevölkerungskonferenz vor 25 Jahren sehr umstritten – und ist es heute noch. Wenngleich der Zugang zu reproduktiver Gesundheit, einschließlich der Familienplanung, auf weitgehenden Konsens unter den anwesenden Staaten in Kairo stieß, dominierte die Diskussion um die legale und sichere Beendigung einer ungewollten Schwangerschaft die Forderung nach reproduktiver Gesundheit und Rechten.

Nach intensiven Diskussionen einigte man sich in Kairo: „In Ländern, in denen Schwangerschaftsabbrüche gesetzlich geregelt sind, sollten sie sicher sein und nur unter entsprechender medizinischer Begleitung stattfinden.“ Diejenigen Frauen, die in Ländern ohne entsprechende gesetzliche Regelung leben oder wo das Gesundheitssystem schwach ist, haben die Entscheidungsfreiheit weiterhin nicht. Für sie birgt dies eine Lebensgefahr: Ungewollt Schwangere setzen Tag für Tag aus Verzweiflung ihr eigenes Leben aufs Spiel. Im Zeitraum 2010 – 2014 waren in Afrika drei Viertel aller Schwangerschaftsabbrüche unsicher.

25 Jahre später: Woher kommt der Gegenwind?

Auch heutzutage behindert die Kontroverse um den Schwangerschaftsabbruch immer wieder die Familienplanungsprogramme. Selbsterklärte Lebensschützer*innen lehnen nicht selten auch die umfassende Aufklärung und Bereitstellung von Verhütungsmitteln ab – obwohl genau dies zahllose ungewollte Schwangerschaften, und damit auch Abbrüche, vermeiden würde.

Ein im Oktober 2019 veröffentlichtes Diskussionspapier des Berlin Instituts für Bevölkerung und Entwicklung gibt einen Überblick über die Kräfte, die dem Recht auf die freie Entscheidung noch immer entgegenwirken. Es hält fest:

Unter dem wachsenden Einfluss der christlichen Rechte hat Trump die zuletzt unter seinen republikanischen Vorgängern geltende Mexiko-City-Policy wiedereingeführt und sogar noch verschärft. In Europa machen „AntiChoice“-Bewegungen und rechtspopulistische Kräfte, die die „traditionelle Familie“ und das Recht auf Leben schützen wollen, den Befürwortern der sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung in Brüssel und Straßburg zunehmend das Leben schwer.

Besonders stark ist, laut Berlin Institut, der Einfluss der Kirche in afrikanischen Ländern, in denen ein großer Teil der Bevölkerung katholisch ist – etwa in Angola, Kenia, Nigeria oder Uganda. Einige Bischöfe würden dort beispielsweise den Nutzen von Verhütungsmitteln bestreiten oder diese sogar als „unheilig“ bezeichnen, wie etwa der kenianische Erzbischof Zacchaeus Okoth im Jahr 2017. Dies zeige bei vielen Menschen Wirkung.

Von Kairo nach Nairobi nach … ?

Trotz stetem Gegenwind sind wir weit gekommen. Seit 1994 beispielsweise hat sich die Zahl der Frauen, die verhüten können, im östlichen und südlichen Afrika verdoppelt. Und die Müttersterblichkeitsrate in den am wenigsten entwickelten Regionen der Welt hat sich seitdem halbiert. Mit besserem Zugang zu Verhütungsmethoden und Sexualaufklärung, mehr Mitbestimmungsrecht und Bildungschancen von Mädchen, ist auch die Geburtenrate gesunken. (UNFPA-Weltbevölkerungsbericht 2019)

Es gilt nun, die Kräfte zu bündeln und die Entscheidungsfreiheit rund um Sexualität und Fortpflanzung zu verteidigen und voranzubringen, so wie es die 179 Staaten bei der Weltbevölkerungskonferenz vor 25 Jahren versprochen haben.

„Es war ein historisches Ereignis“, erinnert sich DSW-Geschäftsführerin Renate Bähr, die vor 25 Jahren an der Konferenz teilnahm, „doch wir können uns nicht auf unseren Erfolgen ausruhen. Die DSW wird also auch die diesjährige Weltbevölkerungskonferenz, den Nairobi Summit, nutzen, um eine menschenrechtsbasierte Bevölkerungspolitik voranzutreiben, die auf einer guten Gesundheitsversorgung, Gleichberechtigung der Geschlechter und dem selbstbestimmten Zugang zu Familienplanung basiert.“

Nur so können wir es schaffen, dass jeder Mensch aufgeklärt, jede Schwangerschaft gewollt und jede Geburt sicher ist.

Mareike Doering

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Kairoer Weltbevölkerungskonferenz 1994

Blog | 23. August 2016 | #Entwicklungspolitik #UNFPA #Weltbevökerungsbericht

Es war meine erste große UN-Konferenz, die International Conference on Population and Development, kurz ICPD: über 10.000 Teilnehmer aus aller Welt, unzählige Veranstaltungen, Frauenrechtlerinnen und Gesundheitsexperten auf der einen Seite, der Vatikan und konservative Länder, die sogenannte „unheilige Allianz“, auf der anderen Seite. Wochen zuvor hatte es Vorbereitungstreffen unterschiedlicher Akteure gegeben, national und international, das Thema der Konferenz war (und bleibt auch heute) sensibel und die Prozesse der UN-Verhandlungen komplex, die Positionen in Sachen Sexualität, Familienplanung und Reproduktion konträr.

Parallel zu den Informationsveranstaltungen fanden in Kairo zwei Wochen lang zähe Verhandlungen statt über ein Aktionsprogramm, das den Diskurs zum Thema Bevölkerung und Entwicklung verändern sollte. Ein Paradigmenwechsel, wie es später hieß: Nicht demografische Zahlen, sondern der/die Einzelne mit seinen oder ihren Bedürfnissen nach Selbstbestimmung und Rechten in Sachen Gesundheit steht seither im Vordergrund der Maßnahmen.

Als junge Journalistin über so eine Großveranstaltung zu berichten, war nicht nur damals eine Herausforderung. Gar nicht so einfach, zwischen offizieller Konferenz und dem Forum von Nichtregierungsorganisationen den Überblick zu behalten. Aber es gab da einen Fixpunkt im Getümmel, wo man immer wieder auf Mitglieder der deutschen Delegation traf, auf Journalisten oder Vertreter der deutschen Zivilgesellschaft – um sich auszutauschen und neueste Informationen zu den Verhandlungen über die strittigen Paragraphen des Abschlussdokuments zu ergattern oder auch Klatsch über Skandale am Rande der Konferenz: den Stand der jungen Deutschen Stiftung Weltbevölkerung.

Kairo 1994: Ist das wirklich schon über 20 Jahre her? Beim Aufräumen habe ich kürzlich wieder den ICPD-Button in der Hand gehabt und ihn kurzentschlossen wieder an die Pinnwand geheftet – zur Erinnerung und Aufmunterung in meinem Bonner Büro, die Botschaft ist klar: Einfach weitermachen, die Themen von damals sind immer noch brandaktuell. Seither hat sich die Situation von vielen Menschen sicherlich verbessert, aber es ist noch ein langer Weg, bis das Recht auf Selbstbestimmung rund um Familienplanung Wirklichkeit wird. In vielen Regionen der Welt ist dies nach wie vor ein sensibles Thema, der Dialog ist hier immens wichtig, wir arbeiten weiter daran.

Von Catherina Hinz, damalige Journalistin und später langjährige Mitarbeiterin der DSW.

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Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW)