Weltbevölkerungsbericht 2024: Der lange Weg zur körperlichen Selbstbestimmung
Der lange Weg zur körperlichen Selbstbestimmung – auch 30 Jahre nach ihrer internationalen Festschreibung noch längst kein Recht für alle
Berlin, 17. April 2024 – Auch 2024 ist immer noch jede zweite Schwangerschaft unbeabsichtigt, jede vierte Frau kann nicht Nein zu Sex mit ihrem Mann oder Partner sagen und jede zehnte hat keine Wahl, ob sie verhüten möchte oder nicht – 30 Jahre nachdem das Recht auf körperliche Selbstbestimmung von 179 Staaten im Aktionsprogramm von Kairo festgeschrieben wurde. An diese historische UN-Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung erinnert der neue UNFPA-Weltbevölkerungsbericht, dessen deutsche Fassung die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) heute unter dem Titel „Verwobene Leben, Fäden der Hoffnung. Ungleichheiten in der körperlichen Selbstbestimmung überwinden“ vorstellte. Seit 1994 sind bemerkenswerte Erfolge zu verzeichnen, so ist beispielsweise die Müttersterblichkeit um 34 Prozent zurückgegangen und hat sich die Zahl der Frauen, die verhüten, verdoppelt. Doch zeigt der Bericht deutlich, dass dieser Fortschritt noch längst nicht alle Menschen erreicht hat.
Die Herkunft entscheidet
Eine afrikanische Frau trägt immer noch ein 130 Mal höheres Risiko, an den Komplikationen einer Schwangerschaft oder Geburt zu sterben, als eine Frau in Europa oder Nordamerika. Herkunft, Hautfarbe und die sozioökonomischen Rahmenbedingungen spielen eine entscheidende Rolle beim Zugang zu einer adäquaten Gesundheitsversorgung und zu Verhütungsmöglichkeiten, aber auch ganz generell bei der Wahrnehmung der sexuellen und reproduktiven Rechte. Dafür seien Sexualaufklärung und Bildung eine Grundvoraussetzung, an der es oft fehle, betont Feyera Abdissa, Leiter des DSW-Länderbüros Äthiopien. In Afrika lebt die größte Jugendgeneration aller Zeiten. Über 40 Prozent der Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt. „Unsere Aufgabe ist es, diese jungen Menschen in die Lage zu versetzen, selbst zu bestimmen, ob, wann und wie viele Kinder sie bekommen möchten. Die körperliche Selbstbestimmung ist die Voraussetzung für ein eigenständiges Leben, aber auch für eine zukunftsfähige Gesellschaft.“
Ein Paradigmenwechsel in der Bevölkerungspolitik
Diese Erkenntnis sei der grundlegende Paradigmenwechsel gewesen, der mit dem Kairoer Aktionsprogramm eingeleitet wurde, erklärte Catherina Hinz vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. „Er führte die Politik weg von den Zielvorgaben der Geburtenkontrolle, hin zu einer menschenrechtsorientierten Familienplanung. Damit wurde der Grundstein für das Konzept der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte gelegt.“ Dazu gehören Sexualaufklärung für Jugendliche genauso wie Schwangerschaftsvorsorge, Geburtshilfe, die Betreuung von Neugeborenen sowie die Behandlung von Geschlechtskrankheiten, HIV und Aids-Prävention und – wo es die Gesetzeslage erlaubt – sichere Schwangerschaftsabbrüche.
Das Erbe der Diskriminierung
Doch zeige der Weltbevölkerungsbericht 2024, „dass die Gesundheitssysteme bis heute von einem tiefen Erbe der Geschlechterungleichheit, Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe und ethnischer Zugehörigkeit sowie Fehlinformationen geprägt sind“, sagte Florence Bauer, UNFPA-Regionaldirektorin für Osteuropa und Zentralasien. Selbst wissenschaftliche Forschungsergebnisse und digitale Datenerhebungen würden durch die Vernachlässigung bestimmter Bevölkerungsgruppen – nicht zuletzt der Frauen – verfälscht. „Um diese Lücken zu schließen sind wir auf die fortgesetzte politische und finanzielle Unterstützung unserer Partner angewiesen, darunter auch Deutschland, dessen Fürsprache entscheidend dazu beigetragen hat, die Agenda von Kairo voranzubringen.“ In Zeiten, da Regierungen wieder zunehmend Schwangerschaftsabbrüche kriminalisieren, weibliche Genitalverstümmelung legalisieren und die sexuelle Selbstbestimmung in Frage stellen, erscheint diese aktueller und drängender denn je.
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Weltbevölkerungsbericht 2024