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Tabus brechen und die Zukunft gestalten

Blog | 03. Mai 2022 | #Entwicklungszusammenarbeit #Jugendarbeit #SIYET #Tansania

Als Naserian zum ersten Mal in den Jugendklub kam, traute sie ihren Ohren nicht. Wie konnte man so frei über Dinge sprechen, über die in ihrer Kultur doch nie gesprochen wurde, weder von jungen, noch von älteren Menschen: Frühverheiratung im Kindesalter, Teenager- und generell unbeabsichtigte Schwangerschaften und vieles mehr aus dem weiten Feld der sexuellen und reproduktiven Gesundheit. Zuerst, sagt Naserian, sei sie sehr verlegen gewesen, doch dann fing sie an zu begreifen, wie sehr sie das alles betraf, dass auch sie ein Opfer dieses alten patriarchalischen Systems war, das vor allem die Frauen unterdrückt – und dass sie ein Recht hatte, daran etwas zu ändern.

Aufklärung gegen eine lange Tradition

Naserian kommt aus Engarenaibor, einer Hirtengesellschaft im Distrikt Longido in Tansania, ist heute 22 Jahre alt und hat inzwischen nicht nur gelernt, selbst über die vermeidlichen Tabuthemen offen zu sprechen, sondern gezielte Aufklärungsarbeit zu leisten und damit auch andere zum Sprechen zu bringen. In einem Jugendklub der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) wurde sie zur Beraterin ausgebildet und ist sehr stolz darauf, schon viele Jugendliche aufgeklärt zu haben: „In unserer Kultur ist es normal, dass ein junges Mädchen im Alter von 20 Jahren nicht weniger als zwei Kinder hat und in ein paar Monaten ein weiteres erwartet. Ich sage das, weil ich auch eines der Mädchen bin, die früh verheiratet wurden.“ Damit diese Normen endlich gebrochen werden, ist Naserians großes Ziel, ihr Wissen über sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte und Familienplanung so weit wie möglich zu verbreiten. Und alle, die von ihr gelernt haben, sollen weiterziehen, um so wiederum so viele Jugendliche wie möglich über ihre Rechte aufzuklären.

Champions für die Politik

„Stärkung der Jugend“ nennt auch Mariam ihre wichtigste Aufgabe. Sie ist im Distrikt Meru und Longido Projektverantwortliche von „Supporting Youth Initiative for Youth Empowerment Tanzania“. Das kurz SIYET genannte Programm wendet sich gezielt an Jugendliche wie Naserian, die zu Berater*innen ausgebildet werden, damit sie ohne große Hemmschwellen ihre Altersgenoss*innen über Sexualität, die Gefahr von sexuell übertragbaren Krankheiten, über frühe oder unbeabsichtigte Schwangerschaften und die Möglichkeit einer gesunden und selbstbestimmten Familienplanung aufklären. Einige der Jugendlichen, wie Mariam nicht ohne Stolz berichtet, werden auch zu sogenannten „youth champions“ ausgebildet. Sie überzeugen nicht nur ihre eigene Generation, sondern vor allem auch die Älteren, die in Politik und Gesellschaft etwas zu sagen haben, davon, dass die Normen überholt und Veränderungen dringend geboten sind.

Wege zur Eigenständigkeit

Mindestens so wichtig, wie die Aufklärung ist die wirtschaftliche Eigenständigkeit, vor allem für die Mädchen. Dafür werden in den DSW Jugendklubs und sogenannten „Youth Empowerment Centres“ Trainings zur beruflichen Fortbildung und innovativer Unternehmensführung angeboten . „Aktuell sind es leider noch zu wenige“, wie Mariam betont. „Wir bräuchten noch sehr viel mehr.“ Es gibt also noch einiges zu tun, damit Naserian ihr großes Ziel erreicht: dass die Mädchen ihrer Gemeinschaft nicht mehr als Kinder verheiratet und unbeabsichtigt schwanger werden.

Nicole Langenbach