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Hörauf zum World NTD Day: „Die NTDs sind eigentlich immer die ersten, die vernachlässigt werden“

Blog | 26. Januar 2024 | #Achim Hörauf #Forschung #Gesundheit #Gesundheitsforschung #Globale Gesundheit #Neglected Tropical Diseases #NTD

Neglected Tropical Diseases (NTDs), sogenannte vernachlässigte Tropenkrankheiten, ist ein Sammelbegriff für verschiedene Krankheiten, deren Zahl die Weltgesundheitsorganisation WHO derzeit mit insgesamt 21 Krankheiten beziffert. Sie können durch Viren, Bakterien, Parasiten oder auch Pilze ausgelöst werden. Weltweit betroffen sind Millionen von Menschen, vor allem in wirtschaftlich schwächeren Ländern des sogenannten Globalen Südens. Schlechte Hygiene- und Gesundheitsbedingungen sorgen dafür, dass geschätzt eine Milliarde Menschen mit dem Risiko lebt, an einer NTD zu erkranken. Prof. Achim Hörauf ist Professor für Parasitologie an der Universität Bonn, ist Experte für NTDs, im Interview äußert er sich zum aktuellen Stand der Forschung und zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Ausbreitung der NTDs.

Am 30. Januar ist World NTD Day, der Tag der vernachlässigten Tropenkrankheiten. Wie aktuell ist die Vernachlässigung, die dem Tag seinen Namen gibt, heute noch?
Achim Hörauf:
Die ist aus meiner Sicht wieder aktueller geworden. Gerade durch die Corona-Pandemie wurden und werden die NTDs erneut vernachlässigt. Ein Beispiel: Durch den Lockdown ist die Kontrolle vor Ort in den Communities, etwa die Verteilung von Tabletten, ausgesetzt worden. Das wirft uns dann zwei bis vier Jahre zurück, wenn ein Jahr ausgesetzt wurde und zieht auch Ermüdungserscheinungen bei den Patienten im Hinblick auf die Behandlung nach sich. Außerdem haben sich die Prioritäten in der Forschung durch Corona wieder verändert und das, obwohl weltweit viele Millionen Menschen unter Behinderungen und Einschränkungen durch NTDs leben, Leprakranke sogar unter Verstümmelungen. Gerade hat die WHO die Krankheit Noma als 21. NTD festgelegt. Dabei handelt es sich um eine Erkrankung der Mundhöhle durch Mangelernährung, fürchterlich. Die NTDs sind wegen mangelnder Advocacy eigentlich immer die ersten, die vernachlässigt werden. Nach Corona gab es schon deutlich weniger Fördergelder aus den USA, Großbritannien ist sogar ganz ausgestiegen. Und auch in Deutschland muss das BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung deutliche Einschränkungen, d. Red) ja wohl deutliche Einschränkungen hinnehmen.

Der World NTD Day am 30. Januar macht auf die vernachlässigten Tropenkrankheiten aufmerksam. Mehr als eine Milliarde Menschen sind weltweit in Gefahr, durch diese Erkrankungen arbeitsunfähig, blind und entstellt zu werden oder zu sterben. Flussblindheit, Bilharziose, Dengue-Fieber, Schlafkrankheit oder Lepra sind nur einige bekannte Beispiele für diese diverse Krankheitsgruppe. Quelle: Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF)

Inwieweit würde ein Priority Review Voucher (Programm, das Arzneimittelentwicklern einen Bonus für eine vorrangige Prüfung gewährt, um einen Anreiz für die Entwicklung zu geben, d. Red.) zur vermehrten Forschung und Entwicklung beitragen?
Hörauf: Das hat schon beigetragen und auch gut funktioniert. Wir wollen Europa überzeugen, dass die EMA (Europäische Arzneimittelagentur, d. Red.) dies auch zulässt. Das ist sicher nicht verkehrt, da ja auch über Europa Medikamente zugelassen werden. Doch der derzeitige Stand bei den Firmen ist eher: „Da gehen wir in die USA.“ Allein für frühere Stadien ist schon eine Förderung von zehn bis 20 Millionen Dollar bis zur klinischen Prüfung nötig und anschließend kommen noch einmal 50 bis 60 Millionen dazu, das ist schon eine andere finanzielle Liga. Dazu gewähren die USA den Unternehmen steuerliche Vorteile, die die Kosten deutlich senken können. Das wird dort ziemlich großzügig umgesetzt und ist in Europa leider so nicht durchsetzbar. Hier herrscht eine andere Philosophie, der Staat will mehr mitreden.

Wie sieht es mit den Plänen der „Roadmap“ der WHO aus, die Zahl der Menschen, die wegen vernachlässigter Tropenkrankheiten behandelt werden müssen, um 90 Prozent zu reduzieren und mindestens eine dieser Erkrankungen in 100 Ländern zu elimi­nieren? Das ist ja vor drei Jahren als Ziel für 2030 festgelegt worden…
Hörauf: Grundsätzlich ist das schon realistisch. Es gibt einen deutlichen Fortschritt im Vergleich zur Dekade vorher, zur Zeit der London Declaration von 2012. Heute heißt es nicht mehr: ‚Wir müssen fünf Krankheiten eliminieren‘, das ist ja mathematisch schon schwierig. Heute haben wir eine quantitative Benchmark, und wenn es am Ende 88 Prozent sind und es dann nicht ganz geschafft worden ist, ist trotzdem schon ein großer Erfolg da. Ganz wichtig ist dabei noch, dass wir am Ende der Road Map nicht fertig sind, sondern gerade dann die systematischen Kontrollen vor Ort brauchen, damit die Krankheiten nicht wiederkommen. Und das wird nicht ohne die Eigenbeteiligung der afrikanischen und asiatischen Staaten nachhaltig funktionieren.

Kap Verde hat gerade gemeldet, dass Malaria ausgerottet ist…
Hörauf: Ja, eine Insel ist da von Vorteil. Jetzt müssen sie dort nur aufpassen, dass durch Schiffs- und Flugverkehr die Erreger nicht wieder mitgebracht werden und wachsam sein wegen der Mücken. Denn: Wenn Patienten mit Malaria auf die Insel kommen und dort gestochen werden, können die Parasiten dabei aufgenommen und weiter übertragen werden, dann kann es auch wieder zu einem Malariaausbruch kommen. Deshalb müsste jeder solche Fall gemeldet und sofort behandelt werden, damit sich die Malaria nicht wieder ausbreitet.

Was tut die Bundesregierung, um die Forschung zu vernachlässigten und armutsassoziierten Tropenkrankheiten voranzutreiben? Was könnte außerdem getan werden?
Hörauf: Sie schreibt im Wesentlichen fort. Aber: Die derzeitige Regierung tut aus meiner Sicht eher ein bisschen weniger als ihre Vorgängerregierung. Es gibt heute ein stärkeres Interesse an globaler Gesundheit und mehr und mehr an soften Themen wie Klima und Gesundheit, planetary health. Wir sollten unsere Kernthemen bewahren, das wird derzeit etwas verwässert und es kommt viel Beiwerk mit herein. So verlieren wir den Drive, den wir bereits einmal hatten. Wir haben eigentlich einen guten Stand, wir waren zum Beispiel das erste westliche Land, das die Kigali-Declaration 2022 (zur Begleitung der WHO Roadmap zur Eliminierung der NTDs, d. Red.) unterschrieben hat. Das sollte erhalten bleiben. Ich würde aber gern wieder die Medizin im Fokus sehen, sonst verflacht das Kernanliegen. Wieder Beispiel Corona: Wer war einer derjenigen, der von Anfang an wirklich etwas zu sagen hatten? Christian Drosten, ein Virologe, der extrem tief in die Biologie und Dynamik der Coronaviren eingearbeitet war, bereits vor der Pandemie.

In den kommenden Tagen wird der neue G-Finder-Report veröffentlicht (Umfrage unter den Geldgebern und Entwicklern im Bereich globale Gesundheit, d. Red.). Was erhoffen Sie sich von dieser Studie im Hinblick auf ihre Forschung?
Hörauf: Eine Datenbank ist immer nur so gut wie die Eingaben. Die Bundesregierung hat wegen nicht existierender spezifischer Datenbanken z.B. selbst Schwierigkeiten, genau zu sagen, wieviel Gelder in die NTD-Forschung fließen, deshalb ist das aus meiner Sicht alles ein bisschen mit Vorsicht zu genießen. Ich vermute aber, der coronabedingte Rückgang wird sich auch hier spiegeln. Das bedeutet, es werden weniger neue Tools für NTDs entwickelt. Ein Beispiel aus der Praxis: Es gibt mittlerweile ein Medikament gegen die Schlafkrankheit, das ohne Spritze verabreicht werden kann. Das heißt, die Patienten müssen keine Klinik aufsuchen – gerade im ländlichen Raum ein enormer Vorteil. Denn viele, die sonst stundenlang bis zum nächsten Krankenhaus gehen müssen, verzichten dann auf eine Behandlung. Stattdessen ist eine orale Einnahme möglich, vor Ort, ganz simpel. Das ist ein Paradigmenwechsel und davon brauchen wir viel mehr. Aber dann sind wir wieder bei den Themen von vorhin: Finanzierung, Pull-Mechanismen. Wenn die Förderung reduziert wird, bleiben wir stecken. Dann reden wir bei der nächsten Declaration wieder von den nächsten zehn Jahren und 90 Prozent. Und das ist ermüdend für alle Beteiligten.

Was hat eigentlich der Klimawandel mit der Ausbreitung der NTDs zu tun? Kann man sich mit Krankheiten wie Chagas bald auch in Hamburg oder München infizieren?
Hörauf: In den Mittelmeerstaaten ist es heute schon möglich, dass es im Sommer lokale Übertragungen etwa von Dengue gibt. In Südeuropa wird Leishmaniose von Hunden übertragen, die dann auch Halter anstecken können. Die berühmt-berüchtigte Tigermücke wird sich in den nächsten 30 Jahren bis Stockholm ausbreiten. Dort wird es warm genug sein und sie hat den Vorteil, dass ihre Eier sehr umweltresistent sind, sie können auch den Winter überleben. Generell ist es so, dass man heute als Europa-Tourist Krankheiten mitbringen kann, die wir früher nur aus den Tropen kannten. Aber unsere Ärzte sind dementsprechend schon in Weiterbildung.

Nils Hartung

Senior Referent Presse- & Öffentlichkeitsarbeit

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